Schärfentiefe
Begriffsbestimmung
Wird ein Objektiv so eingestellt, dass ein bestimmter Punkt eines Gegenstandes scharf abgebildet werden kann, so liegt dieser Punkt auf der aktuellen Gegenstandsebene. Alle Punkte auf dieser Ebene, welche senkrecht zur optischen Achse des Objektivs verläuft, werden idealer Weise absolut scharf, d.h. punktförmig, abgebildet.
Beugungserscheinungen und Linsenfehler, deren Mitbetrachtung diese idealisierte Darstellung stören würde, wollen wir hier nicht berücksichtigen.
Nimmt man also diese Idealisierung an, so wird ein Punkt, der sich hinter oder vor der Gegenstandsebene befindet, in Form einer Kreisscheibe abgebildet. Diesen Kreis bezeichnet man als Zerstreuungskreis, da hier das Licht auf einer kreisförmigen Fläche zerstreut verteilt wird. Den Durchmesser dieses Kreises nennt man den Zerstreuungskreisdurchmesser. Seine Größe bestimmt den Grad der Unschärfe mit dem ein Punkt abgebildet wird.
Punkte, die sich zwar nicht auf der Gegenstandsebene befinden aber in ihrer unmittelbaren Nähe, werden immer noch "hinreichend scharf" dargestellt. Ein Kriterium dafür, ob die Abbildung "hinreichend scharf" ist, ist das Nichtüberschreiten des maximal zulässigen Zerstreuungskreisdurchmessers.
Ein punktförmiges Objekt erscheint erst dann unscharf abgebildet, wenn der erzeugte Zerstreuungskreis so groß ist, dass er von einem Punkt sicher unterschieden werden kann. Das abgebildete Objekt befindet sich dann außerhalb des Bereichs der Schärfentiefe.
Eine formelmäßige Darstellung der Verhältnisse findet der Interessierte ebenfalls auf dieser Website, ebenso ein Rechentool zur Berechnung eigener Werte.
Wovon ist die Schärfentiefe in der Praxis abhängig? Wie kann man sie beeinflussen? Hierzu gibt es in einschlägigen Internet-Foren unzählige Fragen, Kommentare, Belehrungen, Streitereien und Verweise auf bekannte Rechentools, deren Ergebnisse zudem oft falsch interpretiert werden. Zweifellos ist die bloße Betrachtung der formelmäßigen Zusammenhänge nicht sonderlich übersichtlich. Zu einer Interpretation habe ich deshalb ein paar Grafiken vorbereitet.
Hinweise:
Die nachfolgend gezeigten Grafiken können durch Anklicken vergrößert werden. Ein PDF-Download ist über den Link rechts unter der jeweiligen Grafik möglich.
Ich habe den Abbildungsmaßstab immer in der Form x : 1 formuliert – d.h. mit der "1" im Nenner. Werte für "x" kleiner Eins bedeuten eine Verkleinerung, und Werte größer Eins eine Vergrößerung. Die Darstellung mag vielleicht Geschmacksache sein. Wer es lieber andersherum mag (1 : x), der möge bitte selbst umrechnen.
Berechnungen
Abhängigkeit der Schärfentiefe von der Brennweite des verwendeten Objektivs und vom Abbildungsmaßstab
Gelegentlich wird (z.B. in Internet-Foren) behauptet, dass die Schärfentiefe nicht von der Brennweite abhängig ist. Andererseits wird mindestens ebenso oft die beschrieben, dass die größerer Schärfentiefe charakteristisch für Weitwinkelobjektive ist. Was stimmt denn nun?
Wir betrachten die folgende Grafik in Abbildung 1. Die Darstellung zeigt den Verlauf des scharf abgebildeten Bereichs für jeweils ein Objektiv mit 17 mm Brennweite und eines mit 200 mm Brennweite bei Blende f/4 an einer DSLR (1,6er Crop) in Abhängigkeit vom erreichten Abbildungsmaßstab. Die beiden roten Kurven begrenzen den scharf abgebildeten Bereich für das 17er Objektiv und die blauen für das 200er. Die jeweils höher liegende Kurve kennzeichnet die Schärfentiefenferngrenze und die untere die Schärfentiefennahgrenze. Der Bereich der Aufnahmeentfernungen zwischen diesen beiden Grenzen wird scharf abgebildet.
Die roten Kurven liegen weit unterhalb der blauen, da ein 17er den jeweiligen Abbildungsmaßstab bei deutlich kürzerer Aufnahmeentfernung erreicht.
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Abbildung 1: Schärfentiefennah- und -ferngrenze; Abhängigkeit vom Abbildungsmaßstab
Aus dieser Grafik erkennt man, dass die beiden roten Kurven bei kleinen Abbildungsmaßstäben offensichtlich viel rascher "auseinderlaufen" als die blauen. Das heißt, dass der scharf abgebildete Bereich beim 17er dort größer ist als beim 200er. Die nachfolgende Grafik in Abbildung 2 veranschaulicht das besser. Hier ist nun der Abstand der beiden Kurvenpaare – also die Schärfentiefe – über den Abbildungsmaßstab aufgetragen.
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Abbildung 2: Schärfentiefe; bestehende Abhängigkeit vom Abbildungsmaßstab bei kleinen Abbildungsmaßstäben
Gut ist zu erkennen, dass bei kleinen Abbildungsmaßstäben die Schärfentiefe des 17ers größer ist als die des 200ers. Die Schärfentiefe ist also bei kleinen Maßstäben ganz klar von der Brennweite abhängig. Der Bereich größerer Maßstäbe wird in den beiden oben gezeigten Grafiken nicht ausreichend detailliert dargestellt. Ob die Kurven deckungsgleich sind (und damit die Schärfentiefe gleich ist), kann man hier noch nicht beurteilen. Besser zeigt das die Abbildung 3. Der dort gezeigte Bereich schließt rechts an Abbildung 2 an.
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Abbildung 3: Schärfentiefe; keine Abhängigkeit vom Abbildungsmaßstab bei großen Abbildungsmaßstäben
Diese Darstellung vermag die beiden Kurven nicht voneinander getrennt aufzulösen. Tatsächlich liegen die rote Kurve (für das 17er) und die blaue (für das 200er) fast (!) genau übereinander.
Man erkennt daraus, dass die Schärfentiefe bei großen Abbildungsmaßstäben praktisch nicht von der Brennweite des verwendeten Objektivs abhängt.
Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Brennweitenabhängigkeit kann also nur mit „sowohl-als-auch“ beantwortet werden. Dazu noch zwei Beispiele:
Wäre die Schärfentiefe bei großen Abbildungsmaßstäben von der Brennweite in der Weise abhängig, dass sie bei langer Brennweite kleiner wäre als bei kurzer, dann würde man wohl kaum Makro-Teleobjektive (oder heißen die Tele-Makroobjektive?) bauen. Hier kämpft der Fotograf um jeden Millimeter Schärfentiefe, manchmal auch um jeden zehntel Millimeter.
Bei der Arbeit mit Weitwinkelobjektiven in der Landschafts- oder Architekturfotografie hat man es oft mit sehr kleinen Abbildungsmaßstäben zu tun. Wir haben gesehen, dass die Schärfentiefe dann tatsächlich brennweitenabhängig ist und eine kürzere Brennweite mehr Schärfentiefe bedeutet. Hier ist es also die Kombination aus kleinem Maßstab und kurzer Brennweite.
Verteilung des Bereichs der Schärfentiefe
Ich erinnere mich an diese Faustregel: 2/3 des Bereichs der Schärfentiefe liegen hinter dem eingestellten Fokuspunkt und 1/3 liegt davor! Stimmt das?
Dies mag in speziellen Fällen vielleicht gelten, allgemeingültig ist diese Behauptung aber nicht, wie jeder ganz einfach mit dem Rechentool zur Berechnung der Schärfentiefe auf dieser Website selbst überprüfen kann. Die Verteilung des Schärfebereichs wird dort ebenfalls angegeben. Stets ist der Bereich, der vor der Gegenstandsebene liegt, kleiner als der dahinter. Zwei Grenzwerte können betrachtet werden: Ist die Schärfentiefe minimal (gegen 0mm), so liegen etwa 50% des Bereichs davor und 50% dahinter. Wird das Objektiv auf die hyperfokale Distanz fokussiert, so ist der Schärfebereich hinter dem Fokuspunkt unendlich groß (entsprechend der Definition für die hyperfokale Distanz). Dann liegen also rechnerisch 0% des Bereichs davor und 100% dahinter.
Zusammenfassung
Die Schärfentiefe ist von mehreren Einflussfaktoren abhängig. Ab einem Abbildungsmaßstab von etwa 0,015 : 1 (und größer) kann der Einfluss der Brennweite in unserem Beispiel* vernachlässigt werden. Dies betrifft also nicht nur den sogenannten Nah- und Makrobereich. Mit dem genannten Abbildungsmaßstab lassen sich hier immerhin Gegenstände von etwa 1 m x 1,5 m Größe formatfüllend abbilden. In der Grafik in Abbildung 2 lassen sich für diesen Maßstab die beiden Kurven zwar immer noch deutlich unterscheiden, jedoch differieren die Werte für die Schärfentiefe bei den dargestellten Fällen dann nur sehr wenig.
Bei kleineren Abbildungsmaßstäben, wie sie z.B. in der Landschafts- oder Architekturfotografie üblich sind, spielt die verwendete Brennweite für die Schärfentiefe aber durchaus eine Rolle, wie man gut erkennen kann!
* Anmerkung: Wenn man die Betrachtungen bei anderen Blendenwerten, Brennweiten oder Aufnahmeformaten macht, dann kann sich der relevante Abbildungsmaßstab durchaus etwas verschieben. Qualitativ ist die Aussage aber richtig.
Abhängigkeit der Schärfentiefe vom Aufnahmeformat
Wir betrachten zwei Fälle. Eine DSLR mit 1,6er Crop-Aufnahmeformat bei 50 mm Brennweite und Blende f/1,8 sowie eine KB-Kamera (bzw. DSLR mit Vollformatsensor) bei 80 mm Brennweite und ebenfalls bei Blende f/1,8. Beide Kombinationen dürften etwa den gleichen Bildwinkel zeigen und so aus gleicher Entfernung mit dem gleichen Abbildungsmaßstab das Gleiche abbilden.
In der Grafik in Abbildung 4 sind die Schärfentiefennahgrenzen und -ferngrenzen für beide Objektive gezeigt. Blau gilt für die 80er Optik an der Kleinbildkamera und Rot für die Kombination aus 50er Objektiv und der Kamera mit dem kleineren Aufnahmeformat. Bei der Berechnung wurden unterschiedliche maximal zulässige Zerstreuungskreisdurchmesser berücksichtigt. Die Abhängigkeit vom Aufnahmeformat ist auf dieser Website erläutert.
Klar ist zu sehen, dass an der KB-Kamera bei bildwinkeläquivalenter Darstellung deutlich weniger Schärfentiefe zur Verfügung steht. Eine quantitative Untersuchung dieses Phänomens findet bei den Ausführungen zur Freistellung statt.
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Abbildung 4: Schärfentiefennah- und -ferngrenze; Abhängigkeit vom Aufnahmeformat
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